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Zahlenreihentests und mathematische Intelligenz?

Der Intelligenz-Struktur-Test (I-S-T) von Amthauer

R. Amthauer entwickelte einen Intelligenztest, der die Struktur der Intelligenz erfassen soll. 
"Der I_S_T wird im allgemeinen bei Jugendlichen ab 14 Jahren und bei Erwachsenen in Schullaufbahn- und Berufsberatung verwendet" (Barrabas, [1]). Es werden mehrere unterschiedliche Fähigkeiten untersucht, die nach Amthauer die diversen Intelligenzleistungen bestimmen. Deshalb ist der Test in Untertests gegliedert. Einer davon ist der Zahlenreihentest. (Amthauer, [2], [3]). Er ist auch in Einstellungs- und Eignungstests zu finden, selbst in Aufnahmeverfahren zum Übertritt in das Gymnasium wird er manchmal eingesetzt.
Das Prinzip: Eine Folge von vorgegebenen Zahlen soll um eine Zahl oder mehrere weitere Zahlen so ergänzt werden, dass sie dem Bildungsgesetz der gegebenen Zahlen entsprechen.
Beispiel:

1 3 6 8 16 18 __ __

In der Vorstellung der Psychologen heißen die zu ergänzenden Zahlen 36 und 38, da alle Zahlen durch abwechselnde Addition von 2 bzw. Multiplikation mit 2 aus ihren Vorgängern hervorgehen. 

Ist dies wirklich die einzige Möglichkeit? 

Ein misslungener Test

1966 stellten sich an der FAU Erlangen-Nürnberg Mathematikstudenten, die soeben die Vorprüfung zum Staatsexamen bestanden hatten, - der Autor dieses Artikels zählte auch dazu - ihren Kollegen vom psychologischen Institut für einen Test zur Verfügung. Die Psychologen wollten eine (hypothetische) Korrelation zwischen der Abiturzeugnisnote in Mathematik und dem Bestehen der Vorprüfung untersuchen. Hierzu wurde der I-S-T von Amthauer durchgeführt. Die Auswertung war für die Versuchsleiter enttäuschend: Der IQ vieler Testpersonen war unter dem Durchschnitt. Welche psychologischen Folgerungen daraus gezogen wurden, ist dem Autor nicht bekannt geworden, doch gibt es eine mathematische Erklärung, die im Folgenden dargestellt werden soll.

Bekannte Zahlenfolgen

1. Die Folge der geraden Zahlen

2 4 6 8 10 12 __ __

Unter der Annahme, dass wirklich die geraden Zahlen gemeint sind, wird man 14 und 16 als nächste Zahlen einsetzen. Das Bildungsgesetz kann auf zweierlei Weise formuliert werden:

a) Rekursiv (jede Zahl wird aus ihrem Vorgänger bzw. aus ihren Vorgängern durch eine Formel berechnet):

wobei n als laufende Nummer eine natürliche Zahl ist.

b) Allgemeines Bildungsgesetz:

wobei n wiederum als natürliche Zahl die laufende Nummer bedeutet.

 2. Die Zahlenfolge von Fibonacci

1 1 2 3 5 8 __ __

Unter der Annahme, dass wirklich die Fibonacci-Folge gemeint ist, wird man 13 und 21 als nächste Zahlen einsetzen. Auch hier kann das Bildungsgesetz auf zwei verschiedene Arten angegeben werden:

a) Rekursiv:

b) Allgemeines Bildungsgesetz:

(Bronstein, [4] S. 313)

 3. Die Folge der Primzahlen

2 3 5 7 11 13 __ __

Unter der Annahme, dass wirklich die Primzahlen-Folge gemeint ist, wird man 17 und 19 als nächste Zahlen einsetzen. 

Für die Primzahlen ist bis heute weder eine Rekursion noch ein allgemeines Bildungsgesetz bekannt!

4. Schwierigeres Beispiel

41 43 47 53 61 71 __ __

Unter der Annahme, dass auch hier Primzahlen vorliegen, wird man 83 und 97 als nächste Zahlen einsetzen. 

Allgemeines Bildungsgesetz:

Doch Vorsicht! Dies funktioniert bis n = 40 einwandfrei, für n = 41 erhält man dagegen die Quadratzahl 1681, also keine Primzahl! Man sieht, dass es logisch unvernünftig ist, aus sechs gegebenen Zahlen auf die folgende(n) zu schließen.

5. Weiteres Beispiel

2 3 4 5 6 7 __ __

Was spricht dagegen, wenn in obigen Beispielen schon zusätzliche Annahmen gemacht werden mussten, um zum Bildungsgesetz zu kommen, anzunehmen, dass hier die Gesetzmäßigkeit darin besteht, die sechs Zahlen fortwährend zu wiederholen? Dann würde man 2 und 3 als nächste Zahlen einsetzen. Dies ist logisch einwandfrei.

6. Verallgemeinerung

1 2 4 8 10 20 __ __

mit den von Psychologen erwarteten nächsten Zahlen 22 und 44. Offensichtlich benötigt man für die Angabe der nächsten Zahl ein Bildungsgesetz, das selbstverständlich wie oben gezeigt aus den vorgegebenen Zahlen nicht zwingend eindeutig hervorgeht. Es ist zu vermuten, dass der Psychologe Amthauer als Nichtmathematiker an ein Bildungsgesetz dachte, das "klar" ist. Der Mathematiker hingegen kennt unendlich viele. Dies soll im Folgenden gezeigt werden.

Wir interpretieren die laufende Nummer der Zahl der Folge als Abszisse eines zweidimensionalen Punktes und die Zahl selbst als Ordinate. So erhält man in obigem Beispiel die Folge von Koordinaten (1; 1), (2; 2), (3; 4), (4; 8), (5; 10) und (6; 20). Als nächste Zahl lassen wir uns z.B. 5 einfallen, so dass daraus die Punktkoordinaten (7; 5) folgen. Die Zahl 5 wurde dabei willkürlich gewählt. Durch diese 7 Punkte ist eine ganzrationale Funktion 6. Grades eindeutig definiert, deren Graph diese Punkte enthält. Dies gilt auch, wenn man statt 5 eine beliebige andere Zahl gewählt hätte. Mit dem Ansatz für den Funktionsterm

erhält man nach dem Einsetzen der sieben Punktkoordinaten sieben Gleichungen mit sieben Unbekannten. Die eindeutige Lösung dieses Gleichungssystems ergibt:

Dies ist das allgemeine Bildungsgesetz obiger Zahlenfolge. Natürlich ist die achte Zahl auch beliebig wählbar. Das Bildungsgesetz wird dann ggf. anders aussehen. Daraus folgt, dass es allein unter der Annahme einer ganzrationalen Funktion als Bildungsgesetz unendlich viele Fortsetzungen der gegebenen sechs Zahlen gibt - alle logisch einwandfrei. Es ist nun leicht ersichtlich, dass bei anderen Ansätzen noch mehr Möglichkeiten existieren.

Diese Erkenntnis ist sicher nicht im Sinne der Schöpfer der Intelligenztests!

Das Problem liegt darin, dass Nichtmathematiker zu wenig Zahlen und zu wenig Funktionen kennen!

Jetzt ist auch verständlich, weshalb die oben erwähnten Mathematikstudenten Schwierigkeiten bekamen.

6. Experiment mit einem Computerprogramm

Ein Windows-Programm (>= Win95) kann hier als ausführbares Programm (amthauer.exe 441 kB) oder als gepackte Datei (amthauer.zip 229 kB) heruntergeladen werden.

Nach dem Programmstart kann in den weißen Textfeldern eine Folge aus sechs beliebigen Zahlen vorgegeben werden. Dann ergänzt man ein gelbes Feld oder beide mit den erwarteten weiteren Zahlen. Nach dem Mausklick auf den "Rechne"-Knopf wird der berechnete, zu den gegebenen Zahlen gehörende Funktionsterm angezeigt. Setzt man zur Kontrolle für x eine natürliche Zahl ein, so erhält man die Folgenzahl an dieser Position. Mit dem "Clear"-Knopf wird die Anzeige gelöscht.
Während der Rechnung wird der Mauszeiger in ein Eieruhr-Symbol umgewandelt. Die Rechnung kann unter Umständen sehr lange dauern, da das Programm in Ganzzahlarithmetik rechnet. Dies ist nötig, da hier reelle (und damit gerundete) Zahlen sinnlos sind).

Programm: (c) H. Mendel 2001

Literatur

  • [1] Barrabas, R.: Aspekte anwendungsorientierter Psychologie, Vorlesungsskript Technische Fachhochschule Berlin, Fachbereich I, ohne Jahresangabe.
  • [2] Amthauer, R.: Intelligenz-Struktur-Test: I-S-T 70, Göttingen 1973.
  • [3] Amthauer, R., Brocke, B., Liepmann, D. & Beauducel, A.: Intelligenz-Struktur-Test 2000, Göttingen 1999.
  • [4] Bronstein, Semendjajew, Musiol, Mühlig:  Taschenbuch der Mathematik, Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main 1999

Autor:
Hermann Mendel
Gregor-Mendel-Gymnasium Amberg
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